Marmolejo
Ankunft in Chile
Von Frankfurt über Madrid und Sao Paulo
sind wir in Santiago eingetroffen. Unser Ziel ist ein Berg östlich von
Santiago , unmittelbar auf der Grenze zu Argentinien. Der Marmolejo , ein trotz
seiner exponierten Stellung als südlichster 6000er der Anden und somit auch
der Welt , bei uns wenig bekannter Berg soll uns den Einstieg in dünnere
Luftschichten gewähren.
Ausgesucht haben wir uns den Marmolejo nicht wegen
seiner Position auf der Bergsteigerweltkarte sondern , weil er am ehesten -
sofern so etwas vom Sofa aus zu beurteilen ist - unserem alpinistischen Vermögen
entspricht.
Dem globalen virtuellen Netz sei Dank erwartet uns Juan Pablo vom
Refugio Aleman , dem Ausgangspunkt für diese Tour bereits am Flughafen , so
daß wir uns nicht mit dem schweren Gepäck durch Santiago quälen
müssen um dort den richtigen Bus zu finden. Das hat allerdings auch seinen
Preis , aber so ist das eben mit Luxus.
Etwa vier Stunden später erreichen
wir das Refugio , nachdem wir uns unterwegs noch mit "benzina blanca"
für unsere Kocher eingedeckt haben. Sommerliche Temperaturen und ein
strahlend blauer Himmel verwöhnen unsere vom Grau des deutschen Novembers
gebeutelten Gemüter.Das Refugio Aleman wird vom deutschen Anden Verein
unterhalten und liegt oberhalb einer Minenstraße in Lo Valdes.
Von der
Terrasse genießt man einen hervorragenden Blick auf den Cerro Morado im
Norden und Den Volcano San José im Osten. Um diese Jahreszeit - Mitte
November - herrscht im Refugio noch wenig Betrieb, was den Aufenthalt recht
entspannend macht.
Ökologisch absolut unbedenklich wird die Hütte mit
Dung beheizt . Wie die Heizung ist auch die Verköstigung sehr rustikal. Zum
Abendessen bekommt jeder von uns eine ganz und gar unvegetarische Schweinshaxe
serviert , was uns angesichts der kommenden Tage aber in keiner Weise
beunruhigt. Gegen 22 Uhr wird der Stromgenerator abgeschaltet , es wird Zeit zum
Schlafen.
1.Tag
Die Rucksäcke sind gepackt alles überflüssige
haben wir bei Juan deponiert - war leider nicht soviel - so richtig Lust verspüren
wir nicht das Gepäck zu schultern. Mit dem Pick Up der Hütte werden
wir noch so weit als möglich gefahren , absolut empfehlenswert , da sehr
staubig.
Ein Minenarbeiter kommt , nachdem wir das Gepäck abgeladen haben
neugierig angelaufen und fragt nach unserem Ziel. In bescheidenem Spanisch erklären
wir wohin es uns zieht. Der Mann erzählt uns , daß das Wetter sich ändern
würde , was angesichts der strahlenden Sonne und des blauen Himmels etwas
beunruhigend ist , doch genaueres verstehen wir nicht , also was soll's.
Noch gelb markiert folgen wir dem Weg in Richtung "La Engorda" einer
Hochweide die sich unmittelbar westlich vor dem San José ausdehnt. Der
San José ist mit 5800 Meter Höhe nicht wesentlich niedriger als der
Marmolejo , doch gibt es auf 3500 Meter eine Hütte , so steht es zumindest
in "the high Andes" , was uns für eine komfortable
Akklimatisation hilfreich erscheint.
Wie Juan es in unserer Karte eingezeichnet
hat folgen wir der Hochweide in südlicher Richtung , das Gelände ist
sehr flach in vier Stunden legen wir nur 600 Höhenmeter zurück. Ab
etwa 3000 Meter bewegen wir uns ausschließlich im Schnee , das Gelände
wird steiler endlich gewinnen wir auch an Höhe. Die Höhe verlangt
langsam ihren Tribut.
Gestern noch in Santiago und jetzt auf 3600 über NN läßt
uns ganz schön hecheln. Von Der Hütte weit und breit keine Spur , auch
kein Platz an dem ich eine Hütte bauen würde. Die Sonne geht unter ,
wir sind müde und frieren. Eine Hütte wäre ja ganz nett gewesen ,
aber es geht auch so.
Ein Moränenrücken mit etlichen Steinmäuerchen
bietet einen komfortablen Zeltplatz. Froh über den wärmenden
Schlafsack schlafen wir ohne viel zu reden ein. Mehrmals in der Nacht rumpelt es
mächtig , als es gegen Morgen nochmals laut wird zwingt mich meine Neugier
aus dem Zelt zu schauen.
Mit viel Staub und Getöse schickt der Hängegletscher
rechts über uns eines seiner Kälber in die Tiefe.
2.Tag
Das Wetter
ist nach wie vor traumhaft. Es ist schön die Aussicht zu genießen ,
in den Bergen zusein und keine konkreten Pläne für den Tag zu haben.
Da Wolfgang und ich gestern im aufgesulzten Schnee viel davon in die Schuhe
geschaufelt haben richten wir Schalen und Innenschuhe zur Sonne hin aus und tänzeln
barfuß über die Moräne , was uns beiden einen Sonnenbrand auf
dem Fußrücken beschert. Gegen Mittag sind die Schuhe trocken und die
Neugier bewegt mich nach der vermeintlichen Hütte zu suchen.
400 Meter weiter unten finde ich auch tatsächlich das Refugio Plantat. Wäre auch
ein schöner Platz zum Ausruhen gewesen , doch verspüren wir absolut
keine Lust den ganzen Krempel 400 Meter runter und später wieder hoch zu
buckeln , wir sind doch keine Mulis.
Um Brennstoff zu sparen füllen wir den
Wassersack mit Schnee und legen ihn in die Sonne. Besonders hungrig sind wir
alle drei nicht , dafür haben wir leichte Kopfschmerzen. Aber das kennt man
ja. Die restliche Tageszeit verbringen wir mit Lagerverschönern und
Skatspielen.
Nervig an so einer Bergtour ist das frühe Zubettgehen ,
besonders wenn Du ansonsten eher zu den Nachtaktiven , ein Gläschen Wein
nicht verschmähenden gehörst. Dennoch es ist einfach schön hier
zusein.
Leichter Graupel in der Nacht läßt uns an die , nur
mangelhaft verstandenen Worte des Minenarbeiters vor zwei Tagen denken.
3.Tag
Heute Morgen ist jedoch noch alles beim alten , lediglich die Zelte haben einen
leichten Zuckerguß aus Reif. Gemächlich beginnen wir den Tag ,schließlich
sind wir im Urlaub und machen das Ganze nur zu unserem Vergnügen. O.K. O.K.
auch wir wollen unser Ego ein bißchen aufblasen , aber nicht um jeden
Preis.
Gegen Mittag erkunden wir mal etwas den Weiterweg und versuchen ein paar
Meter an Höhe zu gewinnen. Die Hechelei beginnt trotz geringem Gepäck
bei 4000 Meter wieder. Auf 4300 lassen wir es für heute gut sein. Zurück
im Lager beunruhigt uns das Wetter doch etwas , so beschließen wir um
Mitternacht einen Aufstieg zum Gipfel des San José ohne Zwischenlager zu
versuchen.
Nachdenklich und mit gemischten Gefühlen begeben wir uns heute
besonders früh in die Zelte. Wäre ja schon cool einen Durchmarsch zu
bringen , um beim Skat Vokabular zu bleiben. Ich schlafe wenig , mach mir
Gedanken über meine Fitneß, das Wetter und den Grad unserer
Akklimatisation.
Die Nacht ist schnell vorbei , ach wäre es schön ,
noch ein halbes Stündchen zu dösen - fast wie im Alltag.
4.Tag
Es
ist schweinekalt , wir kochen noch Tee , teilen uns einen Müsliriegel.
Irgendwoher muß die Kraft ja kommen. Im Vergleich zu Gestern kommen wir
erstaunlich leicht voran , an der Akklimatisation ist also doch was dran.
Bis 4500 läuft alles ziemlich gut , Pausen machen wir nur wenige und die sind
ziemlich kurz. Da es erst vier Uhr in der Frühe ist sind die Temperaturen
immer noch sehr niedrig , dafür greifen die Steigeisen um so besser. Rechts
eines markanten Gendarmen zieht der Weg eine breite Rinne hinauf. Die
Schneestruktur deutet immer deutlicher an , daß wir uns auf Büßereis
zu bewegen .
Ich wollte schon immer mal Büßereis sehen , doch
ausgerechnet heute verspüre ich überhaupt keine Lust dazu. Die Löcher
zwischen den umgedrehten Eiszapfen werden immer größer und lassen
mich ahnen woher der Name Büßereis für diese Form von gefrorenem
Wasser kommt. Wolfgang zieht mit gleichbleibendem Tempo seine Bahnen , während
Ralf und ich uns immer häufiger auf unseren Skistöcke abstützen
und tief durchatmen.
4800 Meter , wir teilen uns eine Zigarette , für einen
kurzen Moment schlafe ich einfach ein. Ich habe keine Macht über den Schlaf
und meinen noch zu wenig akklimatisierten Körper. Noch 200 Meter quäle
ich mich höher , dann gebe ich auf. Während Wolfgang noch weiter
aufsteigt begleitet mich Ralf zurück zum Lager. Ich fühle mich etwas
betrunken und schwach auf den Beinen , was sich jedoch legt , nachdem wir das Büßereis
hinter uns gelassen haben.
Die Sonne ist inzwischen aufgegangen , gegen acht Uhr
treffen Ralf und ich am Lager ein. Es ist wieder mal ein perfekter Tag. Wir
kochen Tee , ich lutsche ein paar Pastillen gegen die Halsschmerzen. Hin und
wieder suchen wir den Gletscher unterhalb des Kraterrandes mit dem Fernglas ab ,
in der Hoffnung Wolfgang zu entdecken.
Keine Spur von ihm , dafür besucht
uns ein Fuchs am Lager. Zwar aufmerksam , doch ohne übertriebene Scheu
wandert er unseren Lagerplatz auf der Suche nach etwas Verzehrbarem ab.
Unbefriedigt zieht er von dannen. Was hätte er auch finden sollen , wir führen
lediglich Trockennahrung mit uns und verwerten diese völlig.
Eine Stunde
nach uns trifft Wolfgang am Lager ein. Auch er hat vorzeitig umgedreht , da ihm
eine Eisplatte alleine und nur mit Skistöcken zu heikel erschien. Ich bin
froh , daß er heil zurück ist , Ralf ergeht es nicht anders.
Es ist schön mit langjährigen Freunden unterwegs zu sein. Wie gehabt
verbringen wir den restlichen Tag mit Skatspielen. Inzwischen hat sich wieder
etwas Hunger eingestellt.
5.Tag
Fünf Tage sind wir bereits unterwegs , es
ist langsam an der Zeit sich dem eigentlichen Ziel zuzuwenden. Wieder den
kompletten Krempel auf dem Rücken schleichen wir talwärts zur La
Engorda.
Gelegentlich schütteln wir den Kopf über unseren Aufstieg vor
wenigen Tagen. Viel schneller , direkter und bequemer wäre der richtige Weg
gewesen. Mangelndes Beurteilungsvermögen und schlechte Informationen
fordern eben ihren Zoll , wie wir später nochmals feststellen müssen.
Ein markanter Boulderblock , der meine Schritte schneller werden läßt
ist unser Ziel für die nächsten 36 Stunden.
Stark bläst der Wind talaufwärts und der schönste Zeltplatz ist zugleich auch der stürmischste.
Doch mit einer zyklopenwürdigen Steinmauer und meiner Beteuerung , daß
solche Winde nur am späten Nachmittag herrschen im Bewußtsein
schlagen wir die Zelte auf der Südseite des Blocks auf.
Wäre der Wind
nicht wir könnten von home sweet home schwelgen. Mit Eifer werden große
Kiesel herangerollt und zur Wohnkücheneinheit zusammengestellt. Eine
Kerzenlaterne an einer Knotenschlinge aufgehängt , Wassersack so postiert
das er frei hängt und fertig ist die Reihenhausgemütlichkeit.
Während
wir in die Schlafsäcke kriechen kommt das Gespräch auf verwesende Füße
mit Socken daran , deren Geruch mit Worten nur schwer zu verdeutlichen ist. Ralf
ist besonders leidgeprüft , da seine Gehwerkzeuge zu relativ geringer Ausdünstung
neigen , während sich dies bei Wolfgang mit dem er sich das Zelt teilt
umgekehrt proportional verhält.
Ich bin ganz glücklich , daß
sich zu meinem eigenen Mief kein fremder hinzuaddiert.
6.Tag
Wie alles was
wir essen , mit Ausnahme der Müsliriegel , löffeln wir auch unser Frühstück
gemeinsam aus einer Alu-Tüte. Mein stark gekröpfter Billiglöfel
aus einem Supermarkt verschafft mir hierbei einen etwas unlauteren Vorteil. Das
Essen ist jedoch auch sonst eine recht spezielle Angelegenheit.
Nicht jeder hat
die selbe Frequenz bei der Nahrungsaufnahme , während Ralf mit beladenem Löffel
den Wolken nachschaut harren Wolfgang und ich bis wir endlich wieder an der
Reihe sind.
Wie bereits erwähnt würden wir die Fliegen in Scharen
anziehen , sofern welche da wären. Deshalb gönnen wir unsren Körpern
und Textilien ein für die herrschenden Temperaturen ausgiebiges Bad.
Sprichwörtlich wie neugeboren kann uns der Tag heute nichts mehr anhaben
bouldernd und Ihr wißt schon , skatspielend genießen wir unseren
Urlaub.
Überflüssige Lebensmittel und Sprit , der uns zuviel erscheint
deponieren wir unter Steinbrocken auf dem Block , um unser Gepäck für
die nächsten Tage zu erleichtern. In Gedanken bei der kommenden Schinderei
sinken wir in Morpheus Schoß.
7.Tag
Der klaren Luft sind wir uns bewußt
, deshalb tendieren wir dazu die Entfernungen eher großzügig einzuschätzen.
So kommen wir , an unseren Erwartungen gemessen recht gut voran. Bald verläuft
der Weiterweg wieder auf Schnee.
Immer im Unterbewußtsein , daß
sich irgendwo darunter ein breiterer Bach befindet , suchen wir einen geeigneten
Übergang auf die orographisch rechte Seite des Tales. Nach einer kurzen
Aufsteilung eröffnet sich der Blick auf ein Hochtal dessen Ende durch einen
weiteren , kleineren Geländeanstieg noch versperrt bleibt. Immer am rechten
Rand des Tales haltend , vermutlich bei schneefreien Verhältnissen nicht
der übliche Weg , erreichen wir einen Kessel , aus dem aufsteigend die
Porta del Marmolejo zu erreichen ist.
Wäre der Schnee nicht , der Kessel hätte
sicherlich etwas von Mondlandschaft. Ähnlich einem Kieswerk bilden die Moränen
Kiesaufschüttungen , wobei das Kaliber der einzelnen Kieselsteine
erstaunliche Ausmaße annehmen kann. Der Bach ist hier nicht mehr völlig
vom Schnee bedeckt , zackige Abruchkanten säumen seine Ufer gelegentlich
finden sich Eisschollen.
Rechts ist der Bach , der furchtbar naß und kalt
aussieht , links der steile Rand einer Moräne. Erstmal eine Zigarettenpause
machen , ist eh an der Zeit dafür. Die Rücken und Beine sind
geschunden , der Nikotinspiegel unter Toleranzlevel. Schnell die Rucksäcke
abschmeißen , ein paar Fotos machen ,einen Müsliriegel teilen und den
letzten Tee trinken , kurzer Disput über den Verlauf des nächsten
Abschnittes , dann balancieren Wolfgang und ich unterhalb der Moräne über
Kiesel und Schneeflecken , während Ralf ein bißchen an der Moräne
ansteigt und dann an ihr entlang quert.
Beides macht keinen vertrauenerweckenden
Eindruck , aber that`s the way. Natürlich sind Wolfgang und ich überzeugt
, daß unsere Variante die vernünftigere ist , mit Ralf verhält
es sich ähnlich. Die Berge sind wunderschön. Mystisch von Wolkenfetzen
umrankt erscheint der Cerro Cotadero. Ich muß , soll heißen , will
ein Foto machen. Doch wo ist die Tasche mit der Kamera? Bei der letzten Pause
abgelegt und nicht wieder aufgenommen.
Scheiße! Lust zum Gehen habe ich
schon seit geraumer Zeit nicht mehr und definitiv absolut keinen Bock das
beschissene , obgleich kurze Stück bis zum letzten Rastpunkt zurückzuschlappen.
Ralf erklärt sich sofort bereit mich zu begleiten. Ich bin froh darüber
, so läßt sich der Antrieb besser aufrechterhalten.
Die vorangegangenen Gedanken über die Qualität der einzelnen Varianten ist
schnell vergessen. Ralfs Version ist die bequemere und schnellere. Keine Frage während
Ralf wartet quere ich schnell und ohne Rucksack an der Moräne entlang ,
hole den Fotoapparat und hast Du nicht gesehen bin ich zurück absolut kein
Problem , lediglich eine Frage der Motivation.
Von Schuttkegel zu Schuttkegel
stolpern wir auf der Suche nach einem geeigneten und windgeschützten
Lagerplatz. Endlich sind wir uns einig. Kein Wunder sechs Beine haben das Gehen
satt. Was die Lagergestaltung angeht sind wir inzwischen ganz gut eingespielt.
Ralf und Wolfgang machen die Zelte fertig und ich kümmere mich um die Küche.
An unserem Windschutz gekauert , einem der vielen Moränenhügel löffeln
wir unsere Mahlzeit bewährt aus der Alu-Tüte. Das Zeug ist echt gut ,
klar treibt`s der Hunger rein , doch es läßt sich irgendwo noch genießen
und vor allem verbraucht es verdammt wenig Brennstoff.
Während des Essens
diskutieren wir den Weg für den kommenden Tag. Ralf erwähnt eine steil
aussehende Rampe rechts von uns , Wolfgang und ich jedoch deuten die markante
Scharte in gerader Linie vor uns als die Porta del Marmolejo. Sie ist einfach zu
offensichtlich. Wir unterhalten uns noch ein bißchen über die zu
erwartende Steilheit , ohne uns einig zu werden. Dann begeben wir uns zur Ruhe.
8.Tag
Die Nacht war ziemlich kalt. Nicht daß die Schlafsäcke nicht
ausgereicht hätten , aber die Isomatten waren für diese Bodenkälte
etwas dünn. Ralf ist überstimmt , also lenken wir unsere Schritte in
Richtung der markanten Scharte am Talschluß.
Es ist ein perfekter Tag ,
nahezu windstill und der Planet sticht. Wolfgang trägt dennoch Handschuhe ,
da sich auf seinen Handrücken ein Ausschlag von der enormen
Sonneneinstrahlung gebildet hat. Wir stehen unter dem Hang der zum Paß
hochzieht. Eine ausgiebigere Pause ist fällig.
Kräfte sammeln für
den folgenden Abschnitt. Ach wären wir nur schon da oben. Einer fragt ob
wir uns nicht vielleicht noch eine Zigarette Teilen sollen. Allgemeine
Zustimmung , noch etwas Zeit schinden Lust verspürt keiner die nach wie vor
schweren Rucksäcke den durchschnittlich 40° - 45° steilen Hang
hochzuschleppen.
Es führt kein Weg daran vorbei , wollen wir hier nicht
versauern müssen wir jetzt unsere unmotivierten Är..... hochkriegen.
Wolfgang spurt in Serpentinen voran. Die Neigung nimmt zu , mein Gewissen
befiehlt mir Wolfgang von diesem Drecksjob zu erlösen. Anfänglich führe
ich auch noch in Serpentinen , doch wird dies immer Mühseliger , da der
Schnee eine Blätterteig ähnliche Konsistenz aufweist und ich dadurch
bei jedem zweiten Schritt abrutsche.
Danach habe ich absolut kein Verlangen. In
Fallinie Stufen tretend läßt sich wenigstens das Abrutschen
vermeiden. Dafür stehe ich alle 20 Schritte hin und hechle wie ein
Bernhardiner in der Sauna. Ab und an schauen wir nach rechts zum Gipfel des
Marmolejo , über dem schon seit geraumer Zeit ein Wölkchen Steht ohne
seine Position im wesentlichen zu ändern. Was für ein Wetter - wenn
Engel reisen.
Nachdem Wolfgang nochmals die Führung übernommen hat
erreichen wir die Scharte froh die Plackerei hinter uns und die guten Zeltplätze
auf der Nordseite des Passes vor uns zu haben. Naja mit den guten Zeltplätzen
ist das so eine Sache. Die haben sich heute recht gut versteckt. Gewiß
werden wir sie sehen sobald wir 100 Meter den brüchigen Grat hochgestiegen
sind.
Der Grat ist wirklich brüchig , auch findet sich ziemlich schnell
eine Kletterstelle im dritten Grad , vielleicht ist sie auch leichter , schwer
zu beurteilen mit gut und gern 25 Kilo auf dem Rücken. Den Punkt von dem
aus die grandiosen Übernachtungsmöglichkeiten zu sehen sein sollten
haben wir inzwischen erreicht.
Frustriert müssen wir leider erkennen , daß
es keine Zeltplätze gibt , der Grat führt zwar in Richtung des Gipfels
, doch würden wir bei unserem Tempo in diesem Bruch noch etliche Tage benötigen
um ihn zu erreichen. Ja wir sind auf dem Holzweg , Ralf hatte Recht mit der
Rampe.
Wenigstens läßt sich das ganze im Abstieg wesentlich schneller
und weniger anstrengend bewältigen. Wieder unten beschließen wir das
Lager aufzuschlagen. Mit dem Fernglas suchen wir noch die Aufstiegsmöglichkeiten
ab , dann ist es gut für heute.
9.Tag
Mit leichten Zweifeln an unserem
Einschätzungsvermögen nach der Schlappe von Gestern steigen wir
diagonal zu einer Schuttrippe auf. Das Gelände ist recht steil , aber der
Weg dafür um so kürzer.
Es sind nur noch etwa 100 Meter bis zur Rippe
, unter uns bricht der Hang fast senkrecht ab. Von einem Podest betrachten wir
den Weiterweg die nächsten Meter sind gut 50° steil. Beim ersten
Schritt im steilen Schnee verfängt sich ein Frontzacken von Ralfs rechtem
Steigeisen zwischen Sohle und Steigeisen des linken Fußes.
Wenn es nicht
so ernst wäre , ein Bild zum schießen. Sein Glück ich stehe noch
unmittelbar hinter ihm und kann ihn aus dieser mißlichen Situation
befreien. Die Schuttrippe steigen wir ein Stück an , bis sich eine Möglichkeit
bietet nach rechts in eine Schneerinne abzusteigen. Das Vorankommen im Schnee
gestaltet sich wesentlich angenehmer , als auf Schutt , zumal es noch nicht
allzu warm ist.
Rechts wird die Rinne begrenzt von einem mehrere 100 Meter hohen
Felsabbruch , sofern dies was da aufragt als Fels bezeichnet werden kann. Kiesel
von Zimmergröße sind auf welche Weise auch immer zu einem senkrechten
bis überhängenden Konglomerat zusammengebacken.
Als der Schnee eine
ungemütliche Konsistenz annimmt verlassen wir die Rinne wieder um den Paß
über Schutt und Geröll zu erreichen. Heute finden sich die
versprochenen Zeltplätze wenig nach dem Paß ein. Tatsächlich
handelt es sich um einen ausgesprochen schönen Platz auf einer Art
Halbinsel , welche durch die zuvor genannten Felsabbrüche gebildet wird.
Besonders genießen wir hier die lange Sonneneinstrahlung und den Blick
nach Norden , wo die Südwand des Aconcagua zu sehen ist. Wieder über
4000 Meter schlafe ich nur mäßig , dafür komme ich früh aus
den Federn und kann so in Ruhe die Morgenstimmung genießen.
10.Tag
Eine Stunde später sind Ralf und Wolfgang auch aufgestanden. Wir steigen auf der
Westschulter auf. Bald kommen wir von der sonnigen Nordseite auf die schattige Südseite
der Schulter. Hier oben wird es merklich kälter , auch bläst ein
frischer Wind.
Die steilsten Anstiege zum Marmolejo haben wir jetzt hinter uns.
Auf etwa 5000 Meter , am Rande des Marmolejo - Gletschers finden sich wieder
gute Zeltplätze. Mauerbau ist bei dem hier oben herrschenden Wind
angeraten.
Kurzatmig schleppen wir Steine herbei. Irgendwann gehen die helleren
Steine in der näheren Umgebung aus , was uns etwas traurig stimmt ,da die
schwarzen deutlich schwerer sind. Wie ein durstiger Elefant , taucht eine Wolke
ihren Rüssel in das Eis des Gletschers und saugt gierig Wasser auf - schon
etwas verdächtig , aber das Wetter ist nicht schlecht.
Mit dem Schlafen
will es heute bei mir überhaupt nicht klappen außerdem brummt mir der
Schädel , was meinen Aspirinkonsum rapide in die Höhe treibt. Die
Windstärke nimmt während der Nacht hörbar zu. Laut knattern die
Polyesterabdeckungen unserer Behausungen.
11.Tag
Fertig angezogen sitze ich
in meinem Zelt und teile den Anderen mit , daß es bereits zwei Uhr ist.
Die Uhrzeit kann sie jedoch nicht dazu bewegen aufzustehen , so wird der
Zeitplan eben um eine Stunde verschoben.
Als es endlich drei ist - schlafen kann
ich ja eh nicht - krieche ich aus dem Zelt. Obwohl ich dick in Lagen von Fleece
und Daunenjacke eingepackt bin empfinde ich es als bitter kalt. Das Thermometer
zeigt 20° unter Null an , dabei mißt es nichtmal den Windfaktor.
Dennoch lassen sich die Kocher den Umständen entsprechend erstaunlich gut
entzünden.
Wir pumpen so viel Tee wie sich kochen läßt in uns
hinein , dann machen wir uns auf den Weg über den Marmolejo-Gletscher.
Angeseilt sind wir nicht , da sich der Gletscher nahezu spaltenfrei zeigt.
Lediglich einmal stoppt Ralf , der Vorausgeht , um uns auf eine Spalte
aufmerksam zu machen. Bisher sind die Sterne noch gut sichtbar , vielleicht hält
sich das Wetter noch ein paar Stunden , wäre schön. Ralf beklagt sich
darüber , daß er kein Gefühl in den Zehen seines linken Fußes
hat. Nachdem wir den Gletscher verlassen haben legen wir eine Pause ein. Da
Ralfs Fuß nach wie vor eiskalt ist beginnen Wolfgang und ich damit die
Zehen zu massieren.
Obwohl wir sehr viel Energie dafür aufwenden und froh
sind uns abwechseln zu können stellt sich kein besonderer Erfolg ein. O.K.
dann müssen eben brachialere Methoden herhalten. Mit Finalgon , einer salbe
die bei Muskelbeschwerden Anwendung findet und die Durchblutung fördert dafür
aber auch höllisch brennt , streichen wir großzügig Ralfs Fuß
ein. Lieber ein bißchen Brennen als eine Erfrierung.
Auch diese Roßkur
zeigt im Moment nur zweifelhafte Wirkung. Das Beste ist wohl möglichst
schnell auf den Gipfel und wieder herunter zu kommen. Mit Worten wie gleich
kommt die Sonne hinter dem Berg hervor , versuchen wir Ralf aufzumuntern. Tatsächlich
wird es auch hell , aber von der Sonne keine Spur. Die Sicht wird immer
schlechter zu allem übel beginnt es auch noch zu schneien.
Weis der Hugo wo
der Schnee herkommt. Bei so niedrigen Temperaturen darf es doch nicht schneien.
Verkehrte Welt , nicht nur daß es schneit der Schnee kommt auch noch
waagrecht daher. Das Gelände wird ziemlich Flach irgendwo da vor uns muß
der Gipfel sein. Unserem Zeitplan sind wir weit voraus , doch das hilft uns im
Augenblick nicht viel.
Obwohl es erst kurz nach acht Uhr ist und wir bereits
eine Höhe von mehr als 5900 Meter erreicht haben beschließen wir ,
nicht ohne Wehmut den Abstieg anzutreten. Gelegentlich schauen wir nach oben ,
ob die Suppe nicht doch noch aufreißt , jetzt wäre noch genügend
Zeit für einen erneuten Versuch.
Das Wetter zeigt sich jedoch heute wenig
einsichtig mit uns. Am Lagerplatz ist die Sicht wieder gut doch ist der Gipfel
nach wie vor dicht in Wolken gehüllt. Mit enormer Geschwindigkeit treiben
die Wolken vom Tal herauf und hüllen ihn immer dichter ein. Da das Wetter
nicht den Eindruck macht , sich in den nächsten Tagen zu ändern und
unsere Vorräte an Brennstoff und Lebensmittel nur noch für einen
weiteren Tag reichen steigen wir ab.
An der Porta del Marmolejo rasten wir. Zwar
sind die Temperaturen hier recht angenehm , doch schneit es immer noch. Mein
Blick schweift nach Norden. Ein Kondor gleitet mühelos durch das unter uns
liegende Tal. Nicht ohne Neid schauen wir ihm hinterher. Die Szenerie wirkt
surreal. Die Stille , die milden Temperaturen , der Schneefall und dieser Riese
der Lüfte , der völlig geräuschlos sein Revier durchstreift.
Angesichts der Wetterlage entschließen wir uns direkt zum Refugio Aleman
abzusteigen. Immer wieder rechnen wir nach , ob es möglich ist die Hütte
vor 22 Uhr zu erreichen , so daß wir noch etwas zu Essen und ein Bier
bekommen können.
Zügig kommen wir voran. Der Schneefall wird heftiger.
Ein Grund mehr auf ein weiters Lager zu verzichten. Gegen 19 Uhr erreichen wir
unser Depot am Block. Es regnet. Weder wollen wir gehen , noch die Zelte
aufschlagen.
Also Gehen - intellektuell weniger anspruchsvoll. Ich bin froh , daß
ich Ralf einen schönen , großen Rucksack verkauft habe. Er findet
dies weniger erfreulich , da er den größten Anteil aus dem Depot
aufgeladen bekommt. Halb neun , mehr stolpernd als gehend erreichen wir die
Minenstraße. Die Straße weist eine Anomalie auf. Sie dehnt sich in
unserer Bewegungsrichtung aus. Bei völliger Dunkelheit treffen wir endlich
im Refugio ein.
Total abgekämpft , mit Blasen an den Füßen aber
erleichtert keinen Schritt mehr machen zu müssen genießen wir auf der
Terrasse ein Bier und viel Fleisch.
Obwohl wir den Gipfel des Marmolejo nicht
erreicht und das Schleppen schwerer Rucksäcke insbesondere bergauf kein
ausgesprochener Spaß ist , möchte ich das Erlebnis nicht missen.
Sicherlich ist diese Tour für echte Alpinisten lediglich ein Trekkingziel
und manches was ihr lesen konntet mag euch vielleicht übertrieben episch
erscheinen aber ich habe es so empfunden.
Jederzeit würde ich eine solche
Tour wieder unternehmen , allerdings muß für mich das Team stimmen.
Mit Ralf und Wolfgang war das Erlebnis erst perfekt.
Fakten , Fakten , Fakten!
- Anreise: Von Frankfurt via Madrid und Sao Paulo nach Santiago 13 - 20 Stunden.
- Das Refugio Aleman erreicht Ihr von Santiago mit dem Bus sehr preiswert ( ca 8$ ) , dafür nicht ganz so bequem.
- Die andere wesentlich teuere Möglichkeit , Ihr laßt Euch vom Refugio abholen (100 $)
- E-mail Refugio Aleman:
- Solltet Ihr noch etwas benötigen , nachdem Ihr in Chile angekommen seid , so besorgt dies in Santiago. Wäre doch schade , wenn Ihr nochmals wegen ein Paar Liter Reinigungsbenzin ( Benzina Blanca gibt's im Supermarkt ) von Lo Valdes runter fahren müßtet.
- Marmolejo: 6108 m , technisch leichter Berg.
- Dennoch solltet Ihr sechs Tage für die Besteigung , ohne Akklimatisation einkalkulieren.
- Ausgangspunkt: Refugio Aleman in Lo Valdes , nicht ganz billig Vollpension liegt bei etwa 50$ pro Tag und Nase.
- Dafür benötigt Ihr die Zeit in den Bergen kein Geld und Luxus ist relativ.
- Beste Jahreszeit: Mitte Dezember - Mitte März. Es kann auch früher gehen , dann aber unter Umständen mit viel Schnee.
Literatur:
John Biggar "The High Andes"
Eckehard Radehose "TraumbergeAmerikas"
Noch etwas statistisches , für die die`s interessiert:
Jill Neate "mountaineering in the Andes"
Landkarten:
ChIGM Blatt 3330-6945 "Rio Yeso" 1:50000
Schwer erhältlich - von hier aus
sechs Monate im voraus zu bestellen und sehr teuer ( ca 60 Märker ) Kopien
gibt es auch im Refugio Aleman für 1-2$. Die Karte ist eher bescheiden ,
aber es gibt keine andere.
Ausrüstung:
- Westalpenausrüstung ,
- Seil und Klettergurt sind nicht notwendig , Spaltengefahr besteht kaum (Stand:11/1999 - keine Haftung für diese Aussage).
- Winddichte Überklamotten, windstabiles Zelt , warmer Schlafsack ,
- guter Benzinkocher sind anzuraten.
- Sehr wichtig ist ein adäquater Sonnenschutz:
- D.h. Gletscherbrille am besten auch eine Ersatzbrille , leistungsstarke Sonnenschutzcreme , Kopfbedeckung gegen die Sonne.
- Ernährung: Dehydrierte Trekkingnahrung ist auf jeden Fall zu empfehlen , da sich dadurch Gewicht und Brennstoff > Gewicht sparen läßt.
- Das Zeug läßt sich auf keinen Fall durch irgendwelche "Fünfminuten Töpfe" ersetzen.
Sollte Euch jetzt noch etwas wirklich dringliches ,
den Marmolejo betreffend am Herzen liegen , so könnt Ihr mir ein Mail
schicken an: Joachim Seitz.